ICP

Die Messung des intrakraniellen Drucks

Der Status-quo entwickelt sich!

Bei vielen Erkrankungen des Gehirns ist es erforderlich, den Druck im Inneren des Schädels zu messen, um wichtige diagnostische Informationen zu sammeln und die erforderliche Therapie effektiv an den Bedürfnissen des Patienten auszurichten. Der Druck im Inneren des Schädels wird als intrakranieller Druck (ICP – engl. Intracranial Pressure) bezeichnet, umgangssprachlich spricht man von Hirndruck.

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Bei vielen Erkrankungen des Gehirns ist es erforderlich, den Druck im Inneren des Schädels zu messen, um wichtige diagnostische Informationen zu sammeln und die erforderliche Therapie effektiv an den Bedürfnissen des Patienten auszurichten. Der Druck im Inneren des Schädels wird als intrakranieller Druck (ICP – engl. Intracranial Pressure) bezeichnet, umgangssprachlich spricht man von Hirndruck. Gemessen wird der ICP meistens in mmHG (mmHG - Millimeter Quecksilbersäule). Manchmal wird auch die Druckeinheit cmH2O oder cm-Wassersäule verwendet (1 mmHg entspricht 1,36 cmH2O). Die Messung des ICP wird aktuell mit den unterschiedlichsten Systemen bewerkstelligt, die jeweils unterschiedliche Eigenschaften und Herausforderungen mit sich bringen. Nach dem heutigen Stand der Technik darf ein Patient bereits einiges erwarten.

Ursache von Hirndruckschwankungen

Der Körper verfügt über verschiedene sehr gute Kompensationsmechanismen, den ICP in einem engen Bereich relativ konstant zu halten. Dennoch hat beispielsweise die Körperposition des Patienten (liegend/stehend) einen physiologischen Einfluss auf den ICP. Im Liegen ist der Druck (relativ gemessen zum Atmosphärendruck) leicht positiv, im Stehen leicht negativ. Aktivitäten wie Husten, Niesen und REM-Schlaf (REM – engl. Rapid Eye Movement) können ebenfalls zu kurzzeitigen physiologischen Druckschwankungen führen. Das ist alles normal und gesund.

Bei verschiedenen Erkrankungen und Verletzungen wie z.B. unfallbedingten Schädel-Hirn-Traumata, Schlaganfällen, intrakraniellen Blutungen, Entzündungen des Gehirns oder auch Hirntumoren kann es zu einem erhöhten ICP und zu lebensbedrohlichen Situationen kommen.

Auch bei Hydrocephalus, einer Störung der CSF-Dynamik (CSF - Liquor cerebrospinalis), bei der entweder zu viel Hirnflüssigkeit gebildet, der intrakranielle Kreislauf gestört oder nicht ausreichend Flüssigkeit resorbiert wird, werden häufig erhöhte ICP-Werte und nicht selten Schwindel, Erbrechen und Bewusstseinsstörungen beobachtet. Patienten mit Hydrocephalus werden meistens durch Implantation eines Shunts behandelt, um über eine Ableitung von CSF z.B. in den Bauchraum den Druck im Kopf zu normalisieren.

Zum tieferen Verständnis der für einen erhöhten ICP zugrundeliegenden Mechanismen kann die Monro-Kellie-Hypothese zum Einsatz kommen. Nach dieser Theorie muss die Gesamtmenge der drei Komponenten Gehirngewebe, Blut, und CSF innerhalb des Schädels gleichbleiben, um den Hirndruck konstant zu halten.

Monro-Kellie-Hypothese

Das Gesamtvolumen im Schädelinneren setzt sich zusammen aus den drei Komponenten Gehirngewebe, Blut und CSF. Sie bilden im Idealfall ein Gleichgewicht untereinander und können sich im Falle eines Ungleichgewichts gegenseitig beeinflussen: wächst eine Komponente an, muss eine andere soweit wie möglich aus dem insgesamt starren Schädel verdrängt werden. So kann eine Vergrößerung des Volumens einer Komponente oder das Auftreten eines zusätzlichen Volumens (z.B. eines Hirntumors) zu einem erhöhten Hirndruck führen. Sind die körpereigenen Kompensationsmechanismen ausgereizt, kann der ICP über einen kritischen Wert ansteigen. Die Folgen sind eine reduzierte Hirndurchblutung, die zu Sauerstoffmangel, Absterben von Nervengewebsfasern oder auch zum Tod des Patienten führen können. 

Aktuelle Methoden der ICP-Messung

Die Kenntnis des intrakraniellen Drucks stellt eine wichtige Datenbasis für therapeutische Entscheidungen - z.B. bei der Behandlung von Patienten nach einem Schlaganfall, einer Blutung oder Schädel-Hirn-Traumas - dar. Ziel bei der Therapie ist es, den erhöhten ICP durch eine geeignete intensivmedizinische Therapie zu normalisieren, um Komplikationen und Folgeschäden zu verhindern. Die Überwachung des intrakraniellen Drucks gilt entsprechend als elementarer Bestandteil in der Neurointensivmedizin.

Die häufigste Methode der ICP-Messung basiert auf der Platzierung von kabelförmigen Sonden im Schädel, die den intrakraniellen Druck invasiv bestimmen. Diese werden an ein externes Gerät zur Druckwertermittlung und Messwertanzeige angeschlossen. Durch die Invasivität der Untersuchung können diese Messungen nur bettseitig und unter stationären Bedingungen im Krankenhaus erfolgen.

Je nach Lokalisation der drucksensitiven Komponente in der kabelförmigen Messsonde können die Arten der invasiven Drucksensoren unterschieden werden. Bei piezo-elektronischen und fiberoptischen Kathetern erfolgt die Messung des Drucks direkt an der Spitze der Messsonde, die im Schädel platziert wird. Alternativ kann der Katheter ein Füllmedium wie z.B. Luft oder Flüssigkeit als Druckübertragungsmedium aufweisen, das die Druckänderungen an der Katheterspitze an eine drucksensitive Komponente in einer externen Ausleseeinheit weiterleitet. Beispiel hierfür sind externe Ventrikeldrainagen mit integriertem Drucksensor.

Darüber hinaus können „telemetrische“ Messonden eingesetzt werden, die vollständig implantiert werden und bei denen die Druckwerte kabellos, d.h. komplett über Funk mit Radiowellen, also nicht-invasiv ausgelesen werden.

Bei vollständig nicht-invasiv arbeitenden Sensoren, die von außen am Kopf angebracht werden können, ist hingegen keine Implantation erforderlich. Diese Systeme können beispielsweise über Ultraschall die Druckverhältnisse im intrakraniellen Raum abtasten. Derzeit (d.h. 2020) erlauben diese Technologien jedoch noch keine quantitative Messung des ICP.

Anforderungen an stabile, zuverlässige ICP Sensoren

Um wichtige Schlussfolgerungen für die patientenindividuelle Diagnostik und Therapieoptimierung ziehen zu können, müssen ICP Sensoren idealerweise die folgenden zentralen Eigenschaften und Funktionen aufweisen:

1. Zeitliches Monitoring

In der allgemeinen medizinischen Praxis werden im Rahmen von Untersuchungen häufig vor allem einzelne Messungen durchgeführt. Diese punktuellen Druckmessungen (z.B. über Lumbalpunktion) stellen jedoch nur eine begrenzte Momentaufnahme dar. Hierdurch kann es vorkommen, dass zu hohe bzw. niedrige Werte und kritische Trends erst spät z.B. nach Ausbildung klinischer Symptome erkannt werden können. Darüber hinaus ist nicht auszuschließen, dass die Messwerte durch den sog. „Weißkitteleffekt“ und das Auftreten von Stress in der Untersuchungssituation verfälscht werden können.

Im Bereich der Neurointensivmedizin werden kabelförmige ICP Sensoren für eine Implantationsdauer von ein bis zwei Wochen eingesetzt, die kontinuierlich den Druck bestimmen können. Man spricht hier vom zeitlichen Monitoring. Einen wichtigen Fortschritt stellen insbesondere bei nicht-stationären Patienten telemetrische ICP Sensoren dar, die über den Tagesverlauf auch im häuslichen Umfeld kontinuierlich Messwerte aufzeichnen können. Die hieraus durch den behandelnden Arzt abgeleiteten Kenngrößen und Einflussfaktoren können eine wichtige Basis für die effektive Behandlung von Patienten darstellen.

 

2. Hohe Genauigkeit, Langzeitstabilität und geringe Drift

Bei der Produktion werden die Sensoren einer Kalibration unterzogen. Hierbei werden die vom Sensor gemessenen Werte mit Referenzwerten verglichen. Durch anschließende Kompensation werden produktionsbedingte Abweichungen korrigiert, so dass die einzelnen Sensoren gleiche Druckwerte mit einer guten Genauigkeit ermitteln können. Es ist dabei ebenfalls sinnvoll, eine mögliche Temperaturabhängigkeit des Drucksignals durch die Kalibration zu beseitigen.

Um zuverlässige Langzeitmessungen durchführen zu können, müssen die Drucksensoren über die gesamte Lebensdauer ein stabiles Verhalten aufweisen. Im implantierten Zustand ist die Elektronik der ICP Sensoren einem anspruchsvollen Milieu ausgesetzt, das einen großen Einfluss auf die Langzeitfunktionalität haben kann. Beispielsweise besteht das Risiko, dass Flüssigkeit in den Sensor eindringen kann, so dass Korrosion oder Kurzschlüsse zum Ausfall des Sensors führen könnten. Nicht selten wird eine Drift des Sensorsignals beobachtet, so dass der gemessene nicht mehr dem realen Wert entspricht. Über eine hermetische Verkapselung der Elektronik des Sensors kann der Sensor von den negativen Einflüssen geschützt und hierdurch eine hohe Langzeitstabiltät und -funktionalität erreicht werden (Yu, Kim, Meng1, 2014). Metallische Gehäuse stellen dabei aufgrund der sehr geringen Permeabilität für Gase und Flüssigkeiten eine etablierte Lösung bei implantierbaren Medizinprodukten dar (Jiang , Zhou2, 2009). Eine hohe Langzeitstabilität ist insbesondere für das o.g, Monitoring von essentieller Bedeutung.

 

3. Miniaturisierung

Um eine leichte Implantation und Explantation mit minimaler Traumatisierung des umgebenden Gewebes zu ermöglichen, empfiehlt sich für die eingesetzten Drucksonden eine möglichst kleine Bauform. Dies ist für die kabelförmigen ICP Sensoren relativ leicht umzusetzen, da u.a. die Energieversorgung und Verarbeitung der Messwerte durch die externe Ausleseeinheit übernommen wird.

Im Fall telemetrischer Drucksonden müssen hierfür enorme technologische Herausforderungen überwunden werden. Aufgrund der vollständigen Platzierung des Implantats innerhalb des intrakraniellen Raums bzw. subkutan und der dort vorherrschenden räumlichen Gegebenheiten muss auf die Verwendung von Akkus oder Batterien mit ausreichender Speicherkapazität und somit signifikanten Dimensionen für den Betrieb des Sensors verzichtet werden. Der Energieübertrag auf das Implantat muss bei telemetrischen Drucksensoren von außen kabellos über Induktion erfolgen. Insbesondere bei höheren Abtastraten (s.u.) muss bei der Datenübermittlung technologisch herausfordernd ein kontinuierlicher Datenstrom ohne Kommunikationsabbrüche aufrechterhalten werden, um das Drucksignal in verwertbarer Form aufzuzeichnen.  

 

4. Geringe Infektionsrate

Die o.g. kabelförmigen Drucksensoren werden transkutan (d.h. durch die Haut und auch durch den Schädelknochen) in den intrakraniellen Raum eingebracht. Dadurch besteht – wie bei allen invasiven Eingriffen – die Gefahr von Infektionen, die hier aber bereits nach wenigen Tagen exponentiell ansteigt. Die Bewegung des Patienten kann darüber hinaus zur Dislokation (d.h. Verrutschen) der Messsonde führen. Abhilfe können hier sog. Bolts schaffen, bei denen die Drucksonde über eine Schraube im Schädel fixiert wird und gleichzeitig die Durchtrittstelle gegen das Eindringen von Krankheitserregern verschlossen wird. Zur Reduktion der Infektionsgefahr eignet sich auch der Einsatz antibiotisch-imprägnierter Katheter. Dennoch sind die kabelförmigen Drucksensoren wegen der o.g. Herausforderungen nur für den stationären Einsatz über wenige Tage vorgesehen. Einen alternativen Ansatz stellen auch hier die o.g. telemetrischen Drucksensoren dar, die nach Implantation telemetrisch und somit nicht-invasiv von außen ausgelesen werden können.

 

5. Kompensation des Umgebungsdrucks

Beim ICP ist es wichtig zu verstehen, dass er als Differenzdruck zum Umgebungsdruck (Luftdruck) angegeben und interpretiert wird. Nicht der tatsächliche im Ventrikelsystem wirkende absolute Druck gibt Aufschluss über mögliche kritische Hirndruckphasen eines Patienten, sondern die Differenz zum Umgebungsdruck. Der physiologische Bereich dieses Differenzdruckes liegt im Bereich von etwa -5 bis +15 cmH2O. Bei Patienten mit Hydrocephalus können kleine Änderungen des ICP in der Größenordnung von wenigen cmH2O darüber entscheiden, ob ein Patient symptomfrei ist oder nicht. Bei Wetteränderungen kann im Unterschied dazu der Luftdruck im Bereich von mehr als 50 cmH2O schwanken. Auch die Höhe relativ zum Meeresspiegel hat einen starken Einfluss auf den Umgebungsdruck. Beim Aufstieg im Gebirge kann man als Faustformel sagen, dass je 1000 m Höhe der Luftdruck um etwa 100 cmH2O fällt.

Die Abbildung zeigt einerseits das enge physiologische Fenster für einen normalen ICP und andererseits die Varianz des Umgebungsdrucks in Abhängigkeit vom Ort oder Wetter.

 

 

Um den ICP bestimmen zu können, müssen somit die eingesetzten Druckmesssysteme über eine geeignete Methode verfügen, den vorherrschenden Umgebungsdruck zu kompensieren. Bei kabelförmigen Sensoren kann die Kompensation über das Design konstruktiv erfolgen, so dass über den Hautdurchtritt des Drucksensors eine Messung relativ zum Umgebungsdruck direkt möglich ist. Bei telemetrischen Drucksensoren müssen hingegen zwei Absolutdruckmessungen durchgeführt werden - die Bestimmung des absoluten intrakraniellen Drucks und zusätzlich des außen wirkenden absoluten Umgebungsdrucks. Durch automatische Differenzbildung der beiden gemessenen Drücke wird der diagnostisch wie therapeutisch wichtige ICP ermittelt.

 

6. Abtastrate

In der medizinischen Praxis lag der Fokus in der Vergangenheit auf der Messung von mittleren ICP-Werten, auf deren Basis eine geeignete Therapie abgeleitet wurde, um die intrakraniellen Drücke zu normalisieren. Aktuell rückt die Analyse der Dynamik des ICP Signales immer stärker in den Fokus der ICP-Forschung. Die aus den zeitlich abhängigen Kurvenverläufen ablesbaren Kenngrößen wie z.B. Amplituden können u.a. zur Abschätzung der Compliance und der verbleibenden intrakraniellen Kompensationsmechanismen des Patienten eingesetzt werden. Zurzeit geht man davon aus, dass Amplituden größer als 4 mmHG auf pathologische Änderungen hindeuten können, bei denen therapeutische Maßnahmen erforderlich sind (Schuhmann3, 2008). Fehlerhaft ermittelte Amplituden würden das Patientenmanagement fehlleiten, diese sind somit aus klinischer Sicht nicht akzeptabel (Holm4, 2009).

Um die z.T. komplexe Dynamik der intrakraniellen Druckverläufe aufzeichnen und diese Parameter korrekt bestimmen zu können, müssen die verwendeten Drucksensoren eine angemessen hohe Abtastrate aufweisen. Bei der Abtastrate handelt es sich um ein Maß, wie oft pro Sekunde hintereinander Messwerte aufgenommen werden. Weist die zeitlich abhängige Druckschwankung einen dynamischen Charakter auf, dann muss die Abtastrate angemessen groß sein, um den Kurvenverlauf adäquat abzubilden.

Nyquist-Shannon-Abtasttheorem

Das Nyquist-Shannon-Abtasttheorem sagt aus, dass die Abtastrate mindestens doppelt so groß sein muss wie die Frequenz des abzutastenden Signals. Der Einfluss der Abtastrate auf die Darstellung komplexer ICP Kurven, die sich aus verschiedenen periodischen Einzelsignalen zusammensetzen, kann wie folgt dargestellt werden. Bei einer Abtastrate von z.B. 100 Hz (d.h. 100 Messungen pro Sekunde) können die gesamten Informationen von Signalen im Bereich von 0 bis 50 Hz ermittelt werden. Einzelsignale mit höheren Frequenzen können entsprechend nicht abgebildet werden. Eine Reduzierung der Abtastrate von 100 auf 25 Hz bewirkt, dass Einzelsignale mit Frequenzen von 12,5 bis 50 Hz hierdurch nicht mehr ermittelt werden können. Durch Reduktion der Abtastrate kann somit die Feinstruktur der ursprünglichen komplexen Signale nicht mehr adäquat dargestellt werden, entsprechend gehen Informationen verloren (Holm5, 2009).

Abtastrate am Beispiel Sound

Die Rolle der Abtastrate kann an dem folgenden praktischen Beispiel leicht beschrieben werden:

Das menschliche Ohr kann Frequenzen bis zu 20 kHz hören. Das Nyquist-Shannon-Abtasttheorem gibt an, dass das Signal mit doppelter Frequenz abgetastet werden muss. In diesem Fall muss die Abtastrate mindesten 2x 20 kHz = 40 kHz sein, um das Signal adäquat abzubilden. Die in der Industrie verwendete Abtastrate für Audiodateien auf CDs entspricht dementsprechend 44,1 kHz.

Auf der rechten Seite werden zur besseren Anschaulichkeit zwei Soundbeispiele in sehr unterschiedlicher Abtastrate präsentiert. Um so höher die Abtastrate ist, desto höher ist die Qualität des daraus resultierenden Sounds. Bei einer niedrigen Abtastrate hingegen gehen Informationen verloren, was deutlich hörbar ist.

Untersuchungen zur minimal akzeptablen Abtastrate bei intrakraniellen Druckverläufen zeigen, dass bei Messungen unterhalb 25 Hz die Kurvenverläufe nicht realistisch aufgenommen werden können und u.a. die daraus abgelesenen Amplituden nicht korrekt sind.

Bei Abtastraten im Bereich von 50 Hz und höher werden die Kurvenverläufe genau abgebildet (Holm6, 2009).

Abbildung nach Holm et al., Medical Engineering & Physics - Daten aus Tabelle 1

 

Fazit

Die Messung und Überwachung des ICP ist bei verschiedenen Krankheiten und Traumata ein wichtiges Mittel, um über eine effektive Diagnostik die für den individuellen Patienten geeignete Therapie abzuleiten. Trotz der z.T. hohen technologischen Anforderungen an ICP Sensoren stehen dem behandelnden Arzt verschiedene Systeme zur Bestimmung des intrakraniellen Drucks zur Verfügung.

Je nach Anwendungsfall können die Anforderungen variieren. Nach dem heutigen Stand der Technik und für den anspruchsvollsten Anwendungsfall der nicht-invasiven Langzeitmessung kann man sagen, dass folgende Anforderungen für die Qualität einer hochwertigen ICP Messung insbesondere von Bedeutung sind: eine hohe Abtastrate von mehr als 25 Hz, eine telemetrische – also nicht-invasive – Messung für ein geringes Infektionsrisiko, eine automatische Kompensation des Atmosphärendrucks, eine kleine Bauform bei hoher Datenübertragungsqualität und letztlich eine hermetische Verkapselung der Elektronik in einem Metallgehäuse für eine hohe Lebensdauer und für eine geringe Drift.

Spannend - über die technischen Anforderungen hinaus - ist ein Blick auf die Kurven bei ICP-Messungen.
Was steckt hinter den Kurven? Wie liest man sie? Was sagen sie uns?

 

ICP is more than a number

Erhöhte intrakranielle Drücke können über die Reduktion des zerebralen Blutflusses zu einer Minderversorgung des Gehirns und Ischämie bis hin zum Absterben von Nerven- und Gehirnzellen führen. Darüber hinaus kann es zu einer gefährlichen Verlagerung von Hirngewebe im Schädel kommen, z.B. der Verschiebung von Teilen des Kleinhirns in Richtung Foramen magnum. Man spricht hierbei von Herniation.    

Die Ziele der therapeutischen Senkung erhöhter intrakranieller Drücke liegen somit u. a. in der Wiederherstellung bzw. Aufrechterhaltung der Blutversorgung des Gehirns und der Verhinderung der Verlagerung von Hirngewebe. Darüber hinaus sollen ebenfalls das Wohlbefinden des Patienten verbessert sowie Symptome wie Kopfschmerzen und Übelkeit reduziert und im Idealfall beseitigt werden.

In der Vergangenheit lag der Fokus dabei darauf, den ICP unterhalb eines definierten Grenzwerts zu senken. Die diagnostische Grundlage hierfür bieten invasive Drucksensoren, mit denen der intrakranielle Druck, z.B. auf der Neurointensivstation bestimmt werden kann. Diese Geräte verfügen hierfür u.a. über die Anzeige des gemessenen mittleren ICP.

Es zeigte sich jedoch insbesondere in den letzten Jahren, dass die reine Betrachtung eines ICP-Grenzwerts für eine effektive Behandlung der Patienten nicht ausreicht (Carrera, Kim, Castellani, 20107). Dies hat mehrere Ursachen: Durch die Reduktion auf eine einzelne Zahl gehen sehr viele wertvolle Informationen über die zerebrospinalen Regulationsprozesse verloren. Ein derartiger Grenzwert stellt eine zu starke Vereinfachung der sehr komplexen und heterogenen Krankheitsbilder dar (Le Roux, 20168). Darüber hinaus werden Grenzwerte typischerweise in Studien mit einer großen Anzahl von Teilnehmern ermittelt, so dass die Individualität des einzelnen Patienten in den Hintergrund tritt. Entsprechende Grenzwerte bieten im Allgemeinen auch nur die Möglichkeit, reaktiv auf das Überschreiten des vorgegebenen intrakraniellen Drucks zu reagieren (Le Roux, 20169).

Zur weiteren Erläuterung werden nachfolgend beispielhaft zwei Patienten verglichen, deren intrakranielle Drücke zum Zeitpunkt der Messung oberhalb des physiologischen, d.h. des gesunden Bereichs liegen: Patient A verfügt über eine hohe Compliance (Le Roux, 201610) , d.h. kleine Veränderungen der intrakraniellen Gegebenheiten führen zu keiner signifikanten Veränderung des ICP. Die erhöhten Druckwerte könnten für diesen Patienten gut tolerabel sein. Patient B hingegen zeigt eine reduzierte Compliance. Bei ihm führen bereits kleine pathologische Volumenzunahmen zu starken ICP-Erhöhungen und kritischen Reaktionen. Beide Patienten müssen bei steigendem ICP therapeutisch unterschiedlich betreut werden, die Fokussierung auf einen ICP-Grenzwert reicht in diesen Fällen nicht aus. Bei der individuellen Behandlung der beiden Patienten und Abwägung zwischen verschiedenen Therapieoptionen müssen somit weitere Kenngrößen, wie z.B. die Compliance berücksichtigt werden. Doch wie können diese Parameter ermittelt werden?

Durch Fortschritte in der Messtechnik und Datenverarbeitung ist es inzwischen möglich, größere Datensätze in Echtzeit (d.h. schon während sie gemessen werden) auszuwerten. Hierdurch stehen dem behandelnden Arzt neue Informationen zur Verfügung, die ohne technische Unterstützung in der Vergangenheit nicht zugänglich waren. Im Bereich der intrakraniellen Drucksensorik rückt hierdurch immer stärker die Analyse des Zeitverlaufs der ICP-Kurven in den Vordergrund. Es konnte gezeigt werden, dass die Dynamik des ICP, dessen Wellenform und die daraus abgeleiteten Kenngrößen nützliche Informationen bieten, um die Behandlung von Patienten auf ein qualitativ höheres Niveau zu heben sowie proaktiv kritischen Trends entgegenzuwirken (Le Roux, 201611) (Czosnyka, Smielewski,  200712).

Compliance

Nachfolgend wird der oben verwendete Begriff Compliance im Detail erklärt. Anschaulich gesprochen reflektiert die Compliance etwas wie die „Weichheit“ oder „Elastizität“ des gesamten Schädel- und Spinalraumes. Sie charakterisiert somit nicht nur das Gehirn, sondern das gesamte Zentrale Nervensystem (ZNS), d.h. den Schädelinnenraum und den Rückenmarkskanal. Diese Elastizität ist eine „Pseudo-Elastizität“, denn die Bestandteile Hirngewebe/Rückenmark, Blut und CSF sind für sich genommen inkompressibel, oder anders gesagt, „hart“. Die Compliance kommt so zustande, dass bei jedem zusätzlichen Volumen („Raumforderung“) innerhalb des harten Schädelvolumens – z.B. durch einen Aufstau von zu viel CSF (Hydrocephalus), bei einer Blutung (Hämatom) oder durch eine Geschwulst (Krebs, Zyste, Schwellung) – im Wesentlichen venöses Blut aus dem starren Raum nach außen in den Körper verdrängt wird. So steigt der intrakranielle Druck durch solche Raumforderungen bei normaler Compliance zunächst nur wenig an, weshalb diese auch oft mit einer „Druck-Reserve-Kapazität“ assoziiert wird. Wird die Raumforderung jedoch zu groß, so ist auch diese Reservekapazität bald erschöpft und der ICP steigt stark an. Eine Minderung der Compliance ergibt sich aber nicht nur durch eine zu hohe Raumforderung, sondern auch durch pathologische Verhärtung des Gewebes und der Gefäße, vor allem der Venen (Sklerose). Die Bestimmung der Compliance hat einen „diagnostischen Wert“, denn man erfährt durch sie etwas über das Außmaß der Raumforderung und den Zustand des Gewebes bzw. der Blutgefäße

Die exakte medizinische Definition der Compliance als Druck-Volumen-Beziehung (C = dV/dP) ist in der folgenden ICP-Volumen-Kurve erläutert:

D.h. Compliance entspricht dem inversen Anstieg an einem betrachteten Punkt der patientenindividuellen ICP-Volumen-Kurve.

Zwar befinden sich nur wenige Prozent der gesamten CSF-Menge im knöchernen Spinalkanal, dafür aber umso mehr venöses Blut (d.h. Venen). Der „durale Sack“, in dem sich das spinale CSF befindet, ist dehnbar und weitet sich im Stehen durch das Absacken von CSF aus dem Schädel nach unten deutlich auf. Insgesamt trägt der Spinalkanal wahrscheinlich zu mehr als 50% zur gesamten Compliance bei.

Intrakranielle Druckkurven – ein Crash-Kurs

Die ICP-Wellenform kann primär drei Komponenten aufweisen (Czosnyka, Smielewski, 200710):

  1. pulsatiler Anteil, der mit dem Herzschlag assoziiert ist (typische Herzfrequenz 50-180 Schläge/min)
  2. respiratorischer Anteil, der mit der Atmung assoziiert ist (typische Atemfrequenz von 8-20 Zyklen/Minute)
  3. langsamer vasogener Anteil, d.h. der von den Blutgefäßen ausgehende Anteil;
         beispielsweise können die sog. Lundberg A- und B-Wellen im Drucksignal beobachtet werden (typisch 0,3-3 Zyklen/Minute) (Czosnyka, Smielewski, 200711)

Im Zeitverlauf einer ICP-Kurve ergibt sich beispielhaft folgendes Bild (Czosnyka, Smielewski, 200712):


Die pulsatilen (1) und respiratorischen (2) Anteile zeigen verglichen zu den vasogenen (3) Lundberg A und B Wellen bedeutend kleinere Amplituden.

Pulsatiler Anteil

Die Ursache des pulsatilen Anteils stellt die Pulsation des Blutes dar, die durch die Kontraktionen des Herzens entsteht und sich über die Blutgefäße bis in den Schädel ausbreitet. Die hieraus resultierenden pulsierenden Volumenänderungen führen zu Druckpulsen im intrakraniellen Raum. Es entstehen hierdurch regelmäßige Peaks („Druckspitzen“) im ICP, wobei der zeitliche Abstand der einzelnen Maxima durch die Herzfrequenz vorgegeben ist.

Der Diagnostische Wert von Pulsamplituden

Als quantitatives Maß für die Intensität der Druckpulse werden in der Diagnostik die sog. Pulsamplituden (AMP) bestimmt. Diese entsprechen der Druckdifferenz zwischen dem Maximum und den benachbarten beiden Minima eines jeden Pulses. In der Literatur werden die Pulsamplituden auch als Mean ICP wave amplitude (MWA) bezeichnet.

Die Pulsamplituden (AMP) sind von physiologischen und pathologischen Gegebenheiten im intrakraniellen und spinalen Raum abhängig. Die Zusammenhänge können anhand der ICP-Volumen-Kurve beschrieben werden.

Im Fall hoher Compliance (auf der linken Seite des Kurvenverlaufs mit geringem Anstiegs in der ICP-Volumen-Kurve) führen die pulsierenden Volumenänderungen zu vernachlässigbaren Druckpulsen, die zugehörigen Pulsamplituden sind klein. Bei reduzierter Compliance (z.B. bei Auftreten eines Tumors) werden jedoch große Pulsamplituden beobachtet. Die Compliance spiegelt also so etwas wie die „Reservekapazität“ des Gehirns wider und sagt etwas darüber aus, inwieweit intrakranielle Volumenzunahmen den ICP sofort stark ansteigen lassen oder ob ein Verschieben von Blut und CSF aus dem intrakraniellen Raum diesen Effekt kompensieren kann. Bei sehr hohen ICP-Werten flacht die Kurve wieder ab.

Abbildung nach (Czosnyka, Pickard, 200416)

Abbildung nach (TeachMeSurgery, 202014)

Durch diesen Zusammenhang ist es möglich, über die Quantifizierung der Pulsamplituden Aussagen über die Compliance zu erhalten. Es ist bekannt, dass beispielsweise Amplituden größer als 4 mmHG auf pathologische Veränderungen mit reduzierter Compliance hindeuten können (Eide, 201615).

Messtechnisch können die Pulsamplituden direkt in der ICP-Kurve abgelesen werden. Die ermittelten Messwerte sind dabei unabhängig von möglichen Drifteffekten der Drucksensorik.

Voraussetzung für die Bestimmung der Pulsamplituden: Das Messsystem muss u.a. über eine ausreichend hohe Abtastrate verfügen, um diese Werte ausreichend genau bestimmen zu können. Darüber hinaus ist eine gute Software notwendig, welche die ICP-Wellenform objektiv und automatisch analysieren kann (Pennacchietti, 202016).

Der diagnostische Wert des Korrelationskoeffizienten RAP

– oder einfach ausgedrückt:

Die ICP-Volumen-Kurve zeigt in der Detailanalyse einen ausgeprägten exponentiellen Anstieg. Bei einem bestimmten intrakraniellen Druck wird jedoch ein Wendepunkt der Kurve beobachtet, ab dem sich der Graph mit steigendem ICP wieder abflacht. Dem entsprechend steigen die Pulsamplituden bei steigendem ICP bis zum Wendepunkt an, danach sinken sie wieder. Somit können kleine Pulsamplituden links (bei niedrigem ICP, hohe Compliance) sowie rechts vom Wendepunkt (bei hohem ICP, niedrige Compliance) beobachtet werden. Der ICP und die Pulsamplitude ermöglichen zusammen genommen somit keine eindeutige Beschreibung, auf welchem Teil der ICP-Volumen-Kurve sich der intrakranielle Zustand des Patienten befindet.

Um patientenindividuell eine klare Aussage über die Compliance und kompensatorische Reserve zu ermöglichen, wurde neben den o.g. Parametern eine weitere Kenngröße – der RAP-Index – eingeführt. Der RAP-Index beschreibt den statistischen Zusammenhang zwischen mittlerem ICP und AMP. Das R in der Bezeichnung RAP steht für Korrelationskoeffizient, mit A wird Amplitude abgekürzt und mit P wird der mittlere Druck gekennzeichnet. Der RAP-Index kann Werte von -1 bis +1 annehmen (Czosnyka , Smielewski, Timofeev, 200720).

Welche generellen Aussagen können mit einem Korrelationskoeffizienten getroffen werden? Der Korrelationskoeffizient beschreibt allgemein die Abhängigkeit der Variablen A von der Variablen B:

Beispiel 1: Die Werte der Variablen A nehmen zu, gleichzeitig nehmen die Werte der Variablen B linear zu. Der Korrelationskoeffizient der beiden Variablen beträgt in diesem Fall +1, man spricht hier von positiver linearer Beziehung.

Beispiel 2: Die Werte der Variablen A nehmen zu, gleichzeitig nehmen die Werte der Variablen B linear ab. Der Korrelationskoeffizient nimmt hier den Wert -1 an, hier liegt eine negative lineare Beziehung der beiden Variablen vor.

Ein Korrelationskoeffizient von 0 deutet hingegen auf keine Korrelation hin, d.h. Änderungen der Variablen A führen zu keiner Änderung der Variablen B. Werte zwischen 0 und 1 bzw. 0 und -1 deuten auf eine Korrelation der beiden Variablen hin, die jedoch nicht vollständig linear ist (Ratner, 200921).

Übertragen auf den RAP-Index können folgende Aussagen getroffen werden: Bei kleinen intrakraniellen Druckwerten führen kleine Volumenänderungen auf dem linken Teil der ICP-Volumen-Kurve zu keiner Erhöhung der Pulsamplituden. Durch die fehlende Korrelation dieser beiden Werte ist der RAP-Index gleich 0. 

Bei höheren intrakraniellen Druckwerten nimmt der RAP-Index im Bereich des steilen Anstiegs der ICP-Volumen-Kurve den Wert >0 an, d.h. der Anstieg des ICP führt zu einer Erhöhung der Pulsamplituden. In diesem Bereich ist die Kompensationsreserve gering, so dass kleine Volumenänderungen zu einem starken Anstieg des ICP führen. Bei der weiteren Erhöhung des ICP nimmt ab dem Wendepunkt der ICP-Volumen-Kurve die Pulsamplitude wieder ab. Hierbei ist der RAP-Index <0. Am Wendepunkt wechselt somit RAP das Vorzeichen. Dies kennzeichnet einen kritischen Bereich, ab dem erhöhte ICP-Werte zu einer zu Ischämie, irreversibler Hirnschädigung und Herniation führen können (Jin, Choi, Kim,201922). Schlussendlich werden bei stark erhöhten Druckwerten keine Pulsationen mehr im Drucksignal beobachtet, der RAP-Index nimmt wieder den Wert 0 an. 

Aus praktischer Sicht hat der RAP-Index z.B. im Bereich der Neurointensivmedizin Relevanz. Bei den meisten Patienten, die wegen eines Schädel-Hirn-Traumas ins Krankenhaus eingeliefert werden, wird über die ersten Stunden eine gute kompensatorische Reserve beobachtet (RAP ist 0), die sich jedoch beim Auftreten eines Hirnödems verschlechtert. Der RAP weist dann durchgehend Werte nahe +1 auf (Czosnyka, Smielewski, Timofeev, et al., 200723).

Eine Reduktion bzw. Erhöhung des RAP-Index kann zum einen mit der Veränderung der Position des patientenindividuellen kraniospinalen Systems auf der ICP-Volumen-Kurve zusammenhängen. Zum anderen könnten z.B. auch pathologische Effekte dazu führen, dass sich die Form dieser Kurve mit der Zeit verändert und ein veränderter RAP-Index ermittelt wird.   

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich der RAP-Index als zuverlässiges Maß für die kompensatorische Reserve (Czosnyka, Steiner, Balestreri, et al., 200524) und die Compliance (Varsos, Kasprowicz, Smielewski, Czosnyka, 201425) erwiesen hat.

Voraussetzung für die Bestimmung des RAP-Index: Das Druckmesssystem muss u.a. eine geringe Drift und hohe Genauigkeit bei gleichzeitig angemessener Abtastrate des Drucksignals aufweisen, um auf Basis des ermittelten mittleren ICP und der Pulsamplituden den RAP berechnen zu können.

Der Diagnostische Wert der Feinstruktur der Druckpulse

Bei der Detailanalyse des zeitlichen Verlaufs des pulsatilen Anteils wird eine charakteristische Feinstruktur sichtbar. Es zeigt sich, dass jeder Druckpuls aus zumindest drei Einzelpulsen zusammengesetzt ist. Diese werden auf der Zeitachse fortlaufend von links nach rechts mit P1, P2 und P3 gekennzeichnet. Welchen Ursprung haben sie und kann man diese für eine Diagnose verwenden?

Die P1-Welle, die auch als „Percussion Wave“ bezeichnet wird, ist ein Resultat des arteriellen Pulses, der sich auf den intrakraniellen Raum ausbreitet. P1 ergibt sich aus der unmittelbaren Aufdehnung der Arterienwände aufgrund des Pulses (sog. Windkesseleffekt), die sich auf CSF und andere intrakranielle Komponenten überträgt und somit im Drucksignal identifiziert werden kann (Czosnyka, Czosnyka, 202026).

Stellt man die Zeitverläufe des arteriellen Blutdrucks und des ICP gegenüber, dann können weitere Komponenten im intrakraniellen Drucksignal identifiziert werden. P3, benannt als „dikrotische Welle“, sie ist vermutlich venösen Ursprungs.  

 

Abbildung nach (March, Hickey, 201627) und (Czosnyka, Czosnyka, 202028)

Für P2 kann jedoch keine direkte Zuordnung zu einem Kurventeil im arteriellen Druckverlauf gefunden werden. Untersuchungen zeigen, dass P2 möglicherweise mit dem pulsatilen arteriellen intrakraniellen Blutvolumen verknüpft ist (Czosnyka, Czosnyka, 202029). Diese pulsatilen Volumenerhöhungen rufen im Schädel als Antwort pulsatile Druckänderungen hervor (vgl. Kapitel „Der Diagnostische Wert von Pulsamplituden“). Die Amplitude von P2 ist somit anhängig von den elastischen Eigenschaften des intrakraniellen Raums und somit von der Compliance.

 

Abbildung nach (Stettin, 200830)

Ist die Compliance hoch, dann wird der arterielle Puls vom intrakraniellen Raum abgefedert, die Intensität der Pulse beträgt P1 > P2 > P3 (vgl. Punkt (1) im Kurvenverlauf). Hierbei kann man sich den intrakraniellen Raum mit einer hohen Compliance als Schwamm vorstellen, welche die Pulsationen dämpft. Bei reduzierter intrakranieller Compliance führt eine stärkere Weiterleitung des Pulses durch intrakranielle Komponenten zu einer Erhöhung der Intensität von P2, so dass es zu einer Verschiebung der Intensitäten kommt: P1< P2 > P3 (vgl. Punkte (2) und (3) im Kurvenverlauf). In diesem Fall verhält sich der intrakranielle Raum bzgl. der elastischen Eigenschaften wie ein Stein, der eine geringe Compliance aufweist. Die Feinstruktur der einzelnen Druckpulse ist somit von der Compliance abhängig.

Zusammenfassend kann man sagen, dass neben der Pulsamplitude AMP auch die Feinstruktur der einzelnen Druckpulse diagnostische Informationen über die Compliance enthält.

Voraussetzung für die Bestimmung der Feinstruktur: Das eingesetzte Druckmesssystem muss u.a. über eine ausreichend hohe Abtastrate verfügen, um die Intensitäten der drei Komponenten der einzelnen Druckpulse bestimmen zu können.

Respiratorischer Anteil

Neben dem pulsatilen Anteil können in der ICP-Kurve auch Morphologien beobachtet werden, die der Atmung zugeordnet werden können. Folgende Effekte liegen hier zu Grunde: Während der Einatmung kommt es zu einem Abfall des intrathorakalen Drucks, der zu in einer Reduktion des venösen intrakraniellen Drucks führt. Der Abfluss des Bluts wird gesteigert und der ICP fällt. Durch das entgegengesetzte Verhalten beim Ausatmen zeigt sich im ICP-Verlauf ein sinusförmiges Muster entsprechend der Atemfrequenz. Ein Anstieg des intrathorakalen Drucks und somit Anstieg des ICP kann beispielsweise auch bei dem Vasalvamanöver (z.B. beim Stuhlgang) sowie beim Husten, Niesen und Erbrechen beobachtet werden (Peate, Wild, Nair, 201831).

Beispiel aus der klinischen Praxis

Wie oben beschrieben, können sich in intrakraniellen Druckkurven pulsatile und respiratorische Komponenten wie folgt überlagern:

Aus dem Zeitverlauf der ICP-Kurven können wichtige Kenngrößen abgeleitet werden. Gemittelt über die Zeit kann der mittlere ICP (hier ca.5 mmHg) bestimmt werden. Der Mittelwert ist in der Abbildung mit Blau gekennzeichnet. Die Peaks der pulsatilen Komponente weisen einen Abstand von ca. 0,7 s auf (lila Markierung), d.h. die zugehörige Kontraktion des Herzens erfolgt mit einer Frequenz von 85/min. Die Pulsamplitude der pulsatilen Komponente ist in dem Beispiel mit ca. 5 mmHg hoch, was ggf. auf eine reduzierte Compliance hindeutet (rote Markierung).

Die Peaks der respiratorischen Komponente weisen einen Abstand von ca. 7 s auf, d.h. die zugrundeliegende Atmung erfolgt mit einer Frequenz von ca. 9 Atemzügen/min (grüne Markierung). Die beobachteten Amplituden der respiratorischen Komponente sind in dem betrachteten Beispiel bedeutend kleiner als die des pulsatilen Anteils.

Langsamer vasogener Anteil

Bei ICP-Messungen können neben den höher frequenten pulsatilen und respiratorischen Komponenten auch langsamere Veränderungen des ICP-Signals beobachtet werden. Hierbei handelt es sich um Morphologien, die vasogenen (vasogen - von den Blutgefäßen ausgehend) Ursprungs sind.

Nach Lundberg lassen sich drei Wellenformen A, B und C identifizieren (Lundberg, 196032). Nachfolgend werden die wichtigsten Charakteristika der Lundberg A und B Wellen beschrieben. Wegen der unklaren klinischen Relevanz wird nachfolgend auf Erklärungen der Lundberg C Wellen verzichtet.
 

Lundberg A-Wellen

Die Lundberg A Wellen werden auch als Plateauwellen bezeichnet. Sie weisen folgende Form auf: Beginnend bei einem bestimmten ICP kommt es zu einem steilen Anstieg des ICP gefolgt von einem Plateau, dass zwischen 5 bis 20 Minuten andauert und Drücke über 50 mmHg erreicht werden. Nach dieser Zeit zeigen die Druckwerte einen steilen Abfall.

 

Die folgenden Effekte liegen den Lundberg A Wellen zugrunde: Die typischerweise anfänglichen erhöhten ICP-Werte führen zu einer Reduktion des zerebralen Perfusionsdrucks (CPP). Dabei handelt es sich um ein Maß für die Durchblutung des Gehirns. Der CPP stellt dabei die Differenz zwischen arteriellem Mitteldruck (MAP) und ICP dar.

Wenn der zerebrale Perfusionsdruck nicht mehr ausreicht, um den Stoffwechselbedarf im intrakraniellen Raum zu decken, führt das im Rahmen der sog. Autoregulation zu einer zerebralen arteriellen Vasodilatation, also einer Weitung der Blutgefäße. Hierdurch wird das zerebrale Blutvolumen erhöht, das wiederum zu einem noch weiter erhöhten ICP führt. Der wiederholte Kreislauf führt zu lebensbedrohlichen ICP-Werten. Lundberg A-Wellen sind pathologisch und erfordern eine sofortige Therapie.

 

Lundberg B Wellen

Die Beschreibung der Lundberg B Wellen ist in der Literatur sehr inhomogen, verschiedene Wellenformen werden unter diesem Begriff zusammengefasst (Martinez-Tejada, Arum, Wilhjelm, Juhler, Andresen, 201933). Beispielsweise wird berichtet, dass Lundberg B Wellen sowohl sinusförmige wie auch rampenförmige Formen aufweisen können, wobei die einzelnen Wellenberge mit einer Frequenz von 0,5 bis 3/min auftreten können.

 

 

Es wird beschrieben, dass diese Wellen ein Indikator für eine reduzierte Compliance sein können (Spiegelberg, Preuß, Kurtcuoglu, 201634). Es besteht jedoch bislang in der Literatur keine Einigkeit über den diagnostischen Wert der Lundberg B Wellen für die Diagnose des Hydrocephalus und für der Vorhersage, ob ein Patient von einem Shunt profitieren kann.

Die rampenförmigen Lundberg B Wellen scheinen in Verbindung mit erhöhten pCO2-Werten (d.h. einer erhöhten Konzentration von CO2 im arteriellen Blut) durch Schnarchen und Schlafapnoe aufzutreten (Spiegelberg, Preuß, Kurtcuoglu, 201635 und Román, Jackson, Fung, et al., 201936).  Sinusförmige Lundberg B Wellen könnten dagegen mit Veränderungen des arteriellen Blutdrucks zusammenzuhängen, die nicht mit Veränderungen des Atemrhythmus oder des arteriellen CO2 assoziiert sind (Spiegelberg, Preuß, Kurtcuoglu 201637).

Zusammenfassend kann man sagen, dass im Kurvenverlauf von ICP-Messungen verschiedenen Morphologien auftreten können. Beispielsweise sind die pulsatilen und respiratorischen Anteile physiologisch, d.h. sie kommen auch bei Gesunden vor. Die Lundberg A-Wellen deuten hingegen klar auf pathologische Veränderungen hin, wegen der lebensbedrohlichen hohen ICP-Werte ist eine sofortige Therapie erforderlich.

Zusammenfassung

Der technologische Fortschritt ermöglicht es inzwischen, eine Reihe zusätzlicher diagnostischer Informationen aus dem Zeitverlauf des intrakraniellen Drucks abzuleiten. Somit ist es nicht verwunderlich, dass die alleinige Bestimmung des mittleren Druckwerts im klinischen Umfeld langsam in den Hintergrund tritt. Die aus dem Zeitverlauf des ICP abgeleiteten Parameter wie Pulsamplituden und RAP können dabei helfen, den pulsatilen Anteil der Druckkurven zu quantifizieren und wichtige Schlussfolgerungen auf die Compliance und kompensatorische Reserve zu ziehen. Die Detektion weiterer Kurvenmorphologien wie z.B. der Lundberg A Wellen ist ebenfalls sehr wichtig.

Die Erfüllung der technischen Anforderungen an die Messung intrakranieller Drücke stellt dabei eine wichtige Basis dar, die für den individuellen Patienten geeignete Therapie aus der Analyse des Kurvenverlaufs abzuleiten.     

Andreas Bunge

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