Die Annahme, dass die Druck-Verhältnisse im menschlichen Körper ausschließlich mit Hilfe der Hydrostatik beschrieben werden können, verhelfen uns zu einem grundlegenden und häufig auch schon ausreichend guten Verständnis der Phänomene, die wir beobachten bzw. messen können. Dies kann für die Behandlung des Hydrocephalus, z.B. bei der Vermeidung von Überdrainage, von großer Bedeutung sein.

Es handelt sich jedoch dennoch um eine starke Vereinfachung der tatsächlichen, hoch komplexen Gegebenheiten im menschlichen Körper. Schließlich wird CSF im Gehirn aus dem Blut produziert und wieder absorbiert. Es gibt also Quellen und Senken und somit notwendigerweise einen - wenn auch langsamen - Fluss. Durch das Pulsieren der Arterien im Inneren der Hirnventrikel und nach jüngsten Forschungen auch maßgeblich durch die Atembewegungen des menschlichen Körpers zirkuliert das CSF im Hirnventrikelsystem. Mittels moderner fluss-sensitiver Echtzeit-MRT-Aufnahmen des menschlichen Schädels lassen sich diese Zirkulationen sogar eindrücklich nachweisen (Dreha-Kulaczewski1, 2017).

Hydrodynamik im Shunt

Wird das Hirnventrikelsystem durch einen Shunt "gestört", wird diese Strömung manifest: Die Druckdifferenz zwischen den Ventrikeln und dem Peritoneum ermöglicht eine "Netto-Strömung" des CSF in das Peritoneum durch den künstlich geschaffenen Kanal, der mittels spezieller Differenzdruck- bzw. hydrostatischer Ventile reguliert wird. Da eine Strömung bei konstanter Flüssigkeitsproduktion, gemäß der Kontinuitätsgleichung der Hydrodynamik, schneller fließt, je enger der durchströmte Flusskanal ist, wird die Flüssigkeit im vergleichsweisen engen Katheter schneller fließen als zum Beispiel durch ein Reservoir mit deutlich größerem Flussquerschnitt. Werden beispielsweise 20 ml CSF pro Stunde abgeleitet, fließt das CSF mit immerhin 5 Millimetern pro Sekunde durch den Katheter. Die Flussgeschwindigkeit nimmt jedoch im gleichen Maße ab in dem sich der durchflossene Querschnitt vergrößert.

Kontinuitätsgleichung

Die Kontinuitätsgleichung ist eine der Grundgleichungen der Hydrodynamik und lässt sich als eine einfache Massenbilanz um ein Kontrollvolumen auslegen. Dabei gilt vereinfacht gesagt: „Was rein geht, muss auch wieder raus“. Sie lässt sich recht anschaulich und ohne viel physikalisch-mathematisches Grundwissen aus den folgenden Axiomen herleiten:

  1. (Masse/Zeit)_rein = (Masse/Zeit)_raus
  2. Masse=Dichte*Volumen.                  // Annahme: Die Dichte ist konstant.

Aus 1. in 2. folgt: (Volumen/Zeit)_rein = (Volumen/Zeit)_raus

<-> ((Fläche) * (Strecke/Zeit))_rein = ((Fläche) * (Strecke/Zeit))_raus // Geschwindigkeit = Strecke / Zeit   mit Volumen = Fläche * Strecke

Daraus folgt:

V_rein*A_rein = V_raus*A_raus

Einige kennen es vielleicht vom Kanufahren durch engere Kanäle: Je enger der Kanal, desto schneller schwimmt das Kanu mit der Strömung mit.

Wird die CSF-Flussgeschwindigkeit nun durch den potentiell vergrößerten Querschnitt eines Hydrocephalusventils gedrosselt, kann - begünstigt durch Verwirbelungen und Staupunkte an unregelmäßigen Geometrien mit nahezu stillstehendem Liquor, die Interaktionen und Anhaftungen der im Liquor enthaltenen Gewebeteilchen, Proteine und manchmal auch Blut mit den Oberflächen im Inneren der Ventile durch längere Expositionszeiten sukzessive zu einer Okklusion des Ventils führen.

"... found in relation to toxicity and oncogenity. Minor problems existed in relation to CSF proteins and medium difficulties in relation to corpuscles (blood). Surprisingly with 500 mg/dl protein, most valves showed – in short term – no significant alteration except of some sticking proximal slit probes and sometimes Orbis-Sigma valves. The trials of Brydon et al. (1996) could be confirmed. Protein effects are usually overestimated. Corpuscles and blood are more by far at risk for valve occlusions (Aschoff 1995)." Aschoff2, 2019

Das Verständnis über die genauen Mechanismen von Ventilokklusionen auf molekularer Ebene sind bedeutend für den langfristigen Erfolg eines Shunts und daher auch aktueller Gegenstand von wissenschaftlichen Untersuchungen. Immer noch wissen wir recht wenig über die Hintergründe zur Entstehung von Verstopfungen. Wir ahnen jedoch: Die Berücksichtigung der Strömungsgeschwindigkeit ist vermutlich von großer Bedeutung bei der Auslegung von Shuntsystemen.

 

Geräusche im Ventil

Nicht nur in Bezug auf Okklusionen kann die Strömungsgeschwindigkeit durch den Shunt von Bedeutung sein. Auch die Entstehung von Ventilgeräuschen – wie sie von Hydrocephaluspatienten in manchen Fällen berichtet werden (Kästner3, 2017) – lässt sich mit Hilfe von Phänomenen, die mit der Flussgeschwindigkeit des CSF zusammenhängen, erklären.

Anhand eines einfachen Differenzdruckventils verdeutlicht - z.B. anhand eines Kugel-Konus-Ventils - wird der Druck im Shunt proximal solange aufgebaut, bis er die Kraft des Federelements im Ventil überwinden kann. Wenn die aus dem Druck resultierende Kraft auf die Kugel schließlich die Federkraft überwindet, bewegt sich die Kugel, öffnet so den Flusskanal und das Fluid kann sich in Bewegung setzen.

Unter bestimmten Bedingungen kann es nun dazu kommen, dass sich das Ventil unmittelbar nach dem Öffnen infolge eines plötzlichen Druckabfalls im CSF wieder schließt. Verantwortlich für diesen besonders raschen Druckabfall ist einerseits der Druckabbau auf der Überdruckseite durch das Abführen der Flüssigkeit. Dieser kann je nach konkreter Anatomie (z.B. Hirncompliance, Schlitzventrikel etc. ) sehr schnell vonstatten gehen. Hinzu kommt ein weiterer Druckabfall, der durch die sogenannte Bernoulli-Gleichung beschrieben wird, welche besagt, dass der Druck in einem Fluid, das sich in Bewegung setzt, geringer ist als in einem ruhenden Fluid. Für das Ventil heißt das konkret: je schneller CSF durch das geöffnete Ventil fließt, um so größer der nachfolgende Druckabfall und um so größer die Tendenz zum schnellen Wieder-Schließen.

Bernoulli-Gleichung

Die Bernoulli-Gleichung ist jedem, der sich mit Strömungslehre beschäftigt, ein Begriff, da sie häufig einen ersten Einblick in die Gegebenheiten von ansonsten komplexen, hydraulischen Systemen ermöglicht. Es handelt sich dabei letztlich um eine Variante des Energieerhaltungssatzes, welche besagt, dass entlang einer Stromlinie die Summe aus potentieller Energiedichte (hydrostatische Wassersäule), kinetischer Energiedichte und Energiedichte der im Fluid wirkenden inneren Kräfte (statischer Druck) stets konstant bleibt:

            Spez. Potentielle Energie + Spez. Kinetische Energie + Spez. Innere Energie = const.

rho  g h + ½ rho v² + p = const.

Streng genommen gilt sie nur für homogene Strömungen. Das sind idealisierte, real also nichtexistierende Strömungen die stationär (keine lokalen Geschwindigkeitsänderungen), inkompressibel und frei von Druckverlusten sind. Es existieren aber auch Formulierungen der Bernoulli-Gleichung, die Druckverluste durch Turbulenzen oder Rohrreibung durch einen zusätzlichen Term berücksichtigen.

Eine Konsequenz dieser Gleichung ist, dass der innere oder auch „statische“ Druck einer Flüssigkeit umso geringer ist, je schneller das Fluid sich bewegt. Dies wird häufig anschaulich am Beispiel der sogenannten Venturidüse demonstriert, die hier schematisch aufgezeichnet ist:

Während die Geschwindigkeit der Strömung im engsten Querschnitt am höchsten ist (vgl. Konti-Gleichung), ist der innere Druck der Strömung dort am geringsten, wodurch sich die Flüssigkeitssäule im abgebildeten U-Rohr-Manometer in gezeigter Weise verschiebt.

Da sich der Druck daraufhin sofort wiederaufbauen kann, kommt es so zu einem wiederholten Öffnen und Schließen des Ventils – und dabei auch zu hörbaren Geräuschen.

Dieses Phänomen lässt sich auch experimentell belegen, wie in folgendem Video zu sehen ist:

Wir sehen also: Obwohl sich grundlegende Phänomene von Hirndruck und Hydrocephalustherapie mit einfachen, hydrostatischen Modellen beschreiben lassen, kommt man nicht umhin, sich auch hydrodynamischer Modelle zu bedienen, um die Fluidmechanik und ihre Auswirkungen im Shunt verstehen zu können.

Damit sind längst nicht alle Fragen von Hydrostatik und Hydrodynamik in Shuntsystemen beantwortet. Ich freue mich auf Anregungen oder Fragen, die wir in anderen Artikeln intensiver aufgreifen können. 

Zum Abschluss - und um die Komplexität noch ein bisschen zu unterstreichen - die "simple" physikalische Antwort auf eine uns oft gestellte Frage, warum die Öffnungsdrücke von in Reihen geschalteten Ventilen addiert werden müssen: 

1 + 1 = 1? Oder: Addition von Öffnungdrücken von in Reihe geschalteten Ventilen

Die Bilanzgleichungen der Fluidmechnik können auch helfen, ein beliebtes Missverständnisse in Bezug auf die Kombination von Hydrocephalusventilen, speziell: der Reihenschaltung von Ventilen mit unterschiedlichen Öffnungsdrücken zu klären: Addieren sich die einzelnen Öffnungsdrücke wirklich oder steuert nicht doch etwa der höhere Öffnungsdruck als der dominantere von beiden den CSF-Fluss durch den Shunt steuert?

Mit Bezug auf die hydrodynamischen Bilanzgleichungen und etwas Vertrauen in die theoretische Physik kann diese Frage auch ohne Experiment beantwortet werden. Hierzu genügt eine einfache Impuls- oder - im hydrostatischen Grenzfall - auch Kräftebilanz, um das Kontrollvolumen „CSF-Säule im Shunt“. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es sich bei der betrachteten Flüssigkeitssäule um ein sogenanntes Kontinuum handelt und jede Masse im Inneren der Flüssigkeit einen Druck auf die Grenzen des Kontrollvolumens bedeuten, wird deutlich, dass die einzelnen Massen nicht separat sondern summiert in die Bilanzgleichung einfließen.

Oder einfacher, weniger kurz und weniger abstrakt gezeigt:

Stellen wir uns zwei einfache Kugel-Konus-Ventile mit zwei verschiedenen Federn (blau) hintereinander in Serie vor:

Die blauen Federn haben verschiedene Federkonstanten - klein (FK2) und groß (FK 1). Das Flüssigkeitsmedium dazwischen ist inkompressibel und kann daher - gedanklich - durch z.B. ein Stahlstange (grün) ersetzt werden, die beide miteinander verbindet und so direkt die Kraft überträgt. Jetzt wird deutlich, dass man das Gesamtsystem nur öffnen kann, wenn auf die Stahlstange (oder in der Realität: auf das Wassermedium) mit einer Kraft gedrückt wird, die die Summe aus BEIDEN FEDERKONSTANTEN FK1 + FK2 kompensiert - das ist mit Kräftebilanz gemeint.

Robert Bialas

Implantatentwicklung

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Literaturverzeichnis

Dreha-Kulaczewski 2017: Inspiration is the major regulator of human CSF flow

Aschoff  2019: in In-Depth View — Functional Characteristics of CSF Shunt Devices (Pros and Cons)

Kästner 2017: I can hear my shunt — audible noises associated with CSF shunts in hydrocephalic patients